Absolut positiver Tisch

Stephan Reisner   09/2012   Berlin


Am Anfang war das Erdpech, es war gut zum Abdichten und perfekt als Modelliermasse für künstliche Augen von Kalkmörtelstatuen. Hier ist es zum Schatten von Messer und Gabeln geworden, in hartem Ton vergraben - verborgenes, unentdecktes Urplastik.

 

Wie fragil dünn die Tischfläche ist, eine sensible Erdschicht. Darunter ein eher ingeniöses, als formschönes Rohrgestänge. Als wären die Ebenen verkehrt: Das, was normalerweise auf dem Boden steht, das Konstruktive, die Tischbeine, es hebt die Erde empor. Ein Spiel der Verkehrungen.

 

Eine quadratische Tischplatte aus rissigem, trockenem Ton. Darauf, wie versteinert, die Spuren und Umrisse von vier Gedecken. Salzausdünstungen, Bitumennester – Schemen einer einstmaligen menschlichen Zusammenkunft. Was ist hier geschehen?

 

Bilder, die aufsteigen: Bilder der Dürre, der Veränderung, der Vergänglichkeit. Szenen archäologischen Grabens und einstiger Rohölbohrungen. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber es gibt Substanzen wie Bitumen, Salz und Wasser, die sind unter bestimmten Voraussetzungen noch kostbarer als Gold.

 

Wer hat nicht schon mal eine verbuddelte rote Muschelform in der Sandkiste oder am Strand entdeckt? Zurück gebliebenes Spielzeug - Schaufeln, Eimer, Siebe, von irgendjemand sehr vermisst.

 

Auf dem Tisch ist das Wasser, das einmal vorkam, gänzlich verdunstet. Es hat mäandernde Risse im Ton hinterlassen, Mikroschluchten, seismographische Schattenrisse. In diesem Tisch steckt kein Wasser mehr, dafür Zeit, weit mehr Zeit als dargebotener Augenblick.

 

Wir assoziieren nur, wir deuten nicht! Hier ist ein Tisch, an den wir kommen, um den wir uns stellen, auf den wir blicken. Ein Tisch, der Fragen aufwirft, der nicht eher antwortet, als bis wir ans Ende unserer Weisheit gelangt sind. Ein absolut offener, positiver, dem Menschlichen zugewandter Tisch.

 


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